Manuel Lorz

Steine Zürichs

Steine Zürichs - Ambition

 

Im vergangenen Sommer habe ich als Maurer auf Baustellen in Zürich gearbeitet. Zu meiner Arbeit gehörten auch Abbrucharbeiten. Dabei fiel mir auf, dass viele Mauersteine nach dem Abbruch noch immer in gutem Zustand sind. Die damals von mir abgebrochenen Mauersteine landeten in einem Container und wurden von einem Lastwagen abgeholt.

Inzwischen sind drei Monate vergangen und ich habe erfahren, was mit diesen Steinen geschieht. Sie enden - wie alle anderen Abbruchsteine in einer der vier Recyclinganlagen für gemischte Abbruchabfälle in Zürich. Dort werden sie zu Schotter gebrochen. 150 Jahre alte Ziegel - aus dem gelben Uetliberg-Lehm, industriell hergestellt für den rasanten Stadterweiterungen der damaligen Zeit. Bollensteine - jahrhundertelang die einzigen verwendeten Mauersteine in der Stadt, handgesammelt aus dem Sihl-Bett und über Jahrhunderte wiederverwendet. Oder Kalksandsteine - ein modernes Industrieprodukt, äusserst dauerhaft und seit Jahrzehnten massenhaft eingesetzt. All diese Steine - Zeugen verschiedenster Arbeiten, verschobener Massen, Orte und Zeiten - werden dort zu Schotter zerkleinert, um minderwertiges Baumaterial wie Zuschlagstoffe für Magerbeton oder einfach Deponiematerial herzustellen.

Aber das müsste nicht sein. Die Wiederverwendung von Mauerwerk hat eine lange und reiche Geschichte und war nicht nur über viele Jahrhunderte hinweg weit verbreitet, sondern wurde in vielen Fällen auch kollektiv organisiert. Kollektive Tempelbauten aus Lehmsteinen der Privathäuser Uruks, römisch-antike Bauweisen für Abbruchmaterial, die Spolien des Mittelalters, der Umbau von Paris oder New York, bis hin zum Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg gewähren interessante Einblicke in die Art und Weise, wie verschiedene Kulturen mit ihrem Abbruchmaterial wirtschafteten. Bis heute gibt es in vielen Regionen eine etablierte Praxis im Bauen mit rückgewonnenen Mauersteinen. In Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich und vielen weiteren Ländern sind zahlreiche solcher - zum Teil technisch sehr innovativer - Unternehmen zu finden. In der Schweiz allerdings ist diese Form des Wirtschaftens heute völlig inexistent geworden. Denn die meisten dieser Unternehmen setzen auf vorsichtigen Rückbau, um möglichst viel Material zu erhalten. Vor allem die hohen Lohnkosten, aber auch die innerstädtische Baustellenlogistik machen diese Vorgehensweise hierzulande wenig praktikabel.

Um die Wiederverwendbarkeit von Mauersteinen auch im Zürcher Kontext zu untersuchen, habe ich ein Unternehmen konzipiert, das diese Art von Wertschöpfung und Werterhalt trotzdem ermöglichen kann. Ausgangspunkt hierfür sind die anfangs erwähnten Recyclinganlagen für gemischte Abbruchabfälle. Die dort bereits zusammengetragenen Mauersteine können leicht auf zentralisierte und mechanisierte Art aufbereitet werden. In einem Geschäftsplan für dieses potenzielle Unternehmen habe ich den Standort, das Verfahren, die Gründung, die Produktpalette, und die Garantiefragen näher untersucht. Als Grundlage für das Unternehmen dienten neben meinen Recherchen von historischen und gegenwärtigen Praxisbeispielen auch Selbstexperimente Vorort und Musterstücke. Zunächst habe ich Aufwand und Praktikabilität durch eigenständiges Rückgewinnen, Reinigen, Testen und Palettieren von Abbruchsteinen abgeschätzt. Daraufhin habe ich ein Fassadensystem konzipiert, um zu testen, wie sich das gewonnene Material nachhaltig, zugelassen und praktikabel verwenden lässt. Dabei habe ich mich von verschiedenen Handwerkern beraten lassen. Das entstandene Musterstück besteht einerseits aus rückgewonnenen Mauersteinen und kann andererseits erneut rückgebaut und wiederverwendet werden.

Die Hebelkraft der Industrieunternehmen in der Bauwirtschaft, der verfügbaren Produktpaletten und der zertifizierten Konstruktionsweisen ist gross und kann eingesetzt werden, um die gemeinsamen Bemühungen nach einer zukunftsfähigen Wirtschaftsweise voranzutreiben. Die Rückgewinnung von Mauersteinen kann dabei neben vielen anderen Massnahmen einen Beitrag leisten. Dabei geht es aber nicht nur um den Erhalt von verwertbarem Material. Es bietet sich auch eine Chance, etwas Authentisches, Spezifisches und Lokales zu schaffen.

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